Flottillentörn 2017

Die Waddenzee ruft – Törn über die Westfriesischen Inseln

Das Revier

Nachdem es im Vorjahr gemütlich durchs Ijsselmeer ging und davor noch gemütlicher über den Bodensee, sollte es in diesem Jahr nach dem Wunsch der Vorjahresteilnehmer “ruhig etwas unbequemer werden“. Gesagt, getan, dazu bietet sich das Watt an. Man steht nicht auf, wenn der Frühstückswunsch gemütlich erfüllt werden soll, sondern, wann die Tide es gebietet. Also segeln wir im Watt. Genauer gesagt in der niederländischen Waddenzee. Die Tidennavigation ist nun das bestimmende Thema. Um es vorweg zu nehmen, es ist super angekommen …

Startvorbereitungen

Ausgangs- und Endpunkt sollte Hindeloopen sein, eine Stadt an der Ostküste des Ijsselmeeres ziemlich im Norden. Wir wollen doch schnell ins Watt und die Schleuse von Kornwerderzand liegt nur etwa 1 ½ Segelstunden entfernt. Die Anfahrt nach Hindeloopen in  Friesland mit den Gespannen gestaltet sich wie immer unkompliziert. Allerdings kommen gar nicht alle Teilnehmer per Trailer. Manche sind mit ihren Booten bereits hier oder in der weiteren Umgebung und reisen deshalb “auf dem Seewege“ an. Bis Samstag sind aber alle eingetroffen und es gibt einen herzlich, freundschaftlichen Startabend. Die Stimmung ist bestens:

GER 604“ Unicorn“, mit Lutz und Annette
GER 770 “Ginger“, mit Bernd und Bärbel
GER 934 “teamspirit“, mit Onno und Felix
GER 1461 “Grete“, mit Philipp und Heinrich
GER 2480 “Ducky“, mit Stefan, ein Freund von der Variantafraktion hat sich einhand uns angeschlossen
und
GER 1176 “Semper Fidelis“, Michael und Heike.

Ursprünglich waren wir 7 + 1 Boote, doch leider haben zwei Aspiranten abgesagt. Der eine hatte berufliche Verpflichtungen zu erfüllen und der andere hatte sein von einer Windhose zerstörtes Rigg noch nicht wieder komplettiert. Wir haben das sehr bedauert.

Am Samstag werden die Boote – soweit nicht bereits zuvor geschehen - komplettiert, getrimmt, seeklar gemacht, auch in gegenseitiger Unterstützung. Dies und das lässt sich noch im nahen Segelzubehör besorgen, z. B. Seenotsignale. Beim abendlichen Zusammensein im Hafenbistro reden wir über das Wetter, die Tide und über die sich daraus ergebenden Segelmöglichkeiten am folgenden Tag. Wir beschließen für den nächsten Tag Texel anzulaufen. Dazu müssten wir um 05.00 (!) vor der Hafenausfahrt starten, denn gegen 07.00 setzt Stillwasser ein, bevor der ablaufende Strom  uns seewärts von Kornwerderzand zu unserem Ziel mitnehmen kann. Durchschleusen und Passage der beiden Autobahnbrücken also vorher! Es gibt keinen Widerspruch, keine Gegenmeinung? Alle sind einverstanden? 04.30 auslaufen? Na gut, Ihr habt’s nicht anders gewollt … Ich freue mich über so viel anfängliches Einvernehmen. Erwartungsgemäß wird es nicht zu spät im Bistro …

Es geht früh los …

Kein morgendliches Briefing in der Dunkelheit. Aufstehen um 03.40 an Bord Semper Fidelis. Alle sind leise, aber emsig beschäftigt, ihre Boote auslaufklar zu machen, die Positionslampen leuchten und die Außenborder beginnen ihre Musik zur ungewohnten Zeit. Alle sind pünktlich draußen. Bei Flaute motoren wir die 7 sm, um pünktlich an der Schleuse zu sein. Glattes Wasser (mit halber Kraft 4,5 kn), völlige Finsternis, Sterne am Firmament, nur die Positionslaternen zeugen von der Anwesenheit unserer kleinen Gruppe. Bald werden die Lichter der Seeschleuse Kornwerderzand am Horizont voraus sichtbar, während über Steuerbord (im Osten) der Morgen graut. Bald färbt die noch verborgene Sonne den Osthimmel orange. Wir sind pünktlich im Schleusenvorhafen und es dauert nicht lange, bis uns die grünen Lichter die Schleuseneinfahrt erlauben. Der Andrang ist überschaubar. Mit uns schleusen noch zwei weitere Tourenyachten. Die Autobahnbrücken öffnen sich wie auf Bestellung und wir sind zu Stillwasser im freien Seeraum. Mit dem Sonnenaufgang im Rücken geht es nun Kurs West mit zunehmendem Schiebestrom. Texel … wir kommen!

Im breiten und tiefen Texelstrom nimmt unsere Formation die unterschiedlichsten Reihenfolgen an. Mal in Reihe, mal nebeneinander, das Watt ist hier weit … Allen macht es sichtbar Spaß. Der Himmel ist freundlich und aus der nächtlichen Flaute ist eine “gentle breeze“ geworden. Und soweit möglich, werden vormittags die Spinnaker gelüftet. Ein tolles Bild. Wir hängen so manches Dickschiff ab. Den Hafen Oudeschild erreichen wir mühelos bereits am frühen Mittag. Bei der Einfahrt müssen wir einen gehörigen Vorhaltewinkel einhalten, denn der Strom vor der Hafeneinfahrt setzt mit rd. 1,5 – 2,0 kn quer. Wir freuen uns, alle am gleichen Steg Platz gefunden zu haben und nehmen ein erstes Einlaufbierchen aus den Kühlschränken (!) der “Ducky“ und der “Ginger“. Solchen Luxus ist der Organisator gar nicht gewohnt. Alle sind happy, so schnell die 26,8 sm geschafft zu haben.

Landgang. Die einen verbringen einen entspannenden Nachmittag in diversen Cafés rund um Marina und Hafen, andere machen eine sportliche Radtour zum Nordstrand der Insel. Alles ist möglich, der Himmel ist freundlich, die Stimmung kann nicht besser sein. Abends sind wir in einem guten Fischrestaurant versammelt, wo extra für uns ein großer Tisch zusammengestellt wird und pflegen uns die Bäuche …

Das bei dieser Gelegenheit gehaltene Briefing ergibt wieder eine sehr frühe Auslaufzeit für den anderen Morgen … Wie sollte es auch anders sein?

Kurs Vlieland

Die Insel Vlieland ist unser nächstes Ziel und dazu benötigen wir für den ersten Teil der Strecke auflaufendes Wasser und für den zweiten Teil ablaufendes. Es gilt also, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Punkt unserer Reise zu sein, um beide Tiden mit der günstigsten Strömung zu erwischen. Die Flottille ist gespannt …

Nach meinen Berechnungen müssten wir unter Berücksichtigung der zu erwartenden Winde (NW3) gegen 06.00 auf See sein, das heißt ca. 04.40 aufstehen. Dafür erreichen wir bis zu 7,4 kn FüG bei mitlaufender Tide. Die Freude währt aber nicht lange. Im Verlauf des Morgens wird der Wind zunächst schwächer und dreht dabei auf SE. Im Bereich zweier zu passierender Sandbänke (De Vlie) verzichten wir auf den Spi, um für den Fall der Fälle manövrierfähiger zu sein. Doch unsere Berechnungen sind richtig und so geht auch alles gut. Da die Varianta deutlich zurückfällt, verzichten im weiteren Verlauf alle H-Boote auf den Spi und fahren stattdessen Butterfly. Auch mal schön und bequem dazu. So passieren wir eine “Bohrinsel“, die in Wirklichkeit eine Gas-Pumpstation ist, im Inschot genannten Fahrwasser. Beim Fahrwasser  Blauwe Slenk begegnet uns eine unerwartet große Inselfähre (sie ist auf dem Weg nach Harlingen), der wir bereitwillig Wegerecht gewähren, nachdem sie den Ruf “Raum“ wohl nicht gehört hat. Der Himmel ist wieder freundlich und der leichte Wind begünstigt die Passage des berüchtigten Stortemelk, dem Seegat zwischen den Inseln Vlieland und Terschelling. Gegen rd. 2,0 kn Strom müssen wir die letzten 1,5 sm zum Hafen aufkreuzen. Glücklicherweise hat der Wind wieder etwas zugelegt, SE 3. Die Fahrwassertonnen passieren wir so in Zeitlupe. Vor der Hafeneinfahrt angekommen blockiert die Autofähre von Vlieland die Hafeneinfahrt. Zuerst setzt sie neben der Hafeneinfahrt auf Grund, dann schleicht sie im Schneckentempo durch die schmale Hafeneinfahrt, an jeder Seite eine handbreit Platz zur Bewehrung. Schließlich kommt der Hafenmeister mit Schlauchboot und weist uns einen Stegplatz für alle Flottillenboote an. Wieder sind wir gut im Timing geblieben und … die Sonne scheint.

Nach 30,1 sm ist Landgang angesagt: zum Strand, durch die Dünen, Eindrücke sammeln, Wind und Sonne genießen. Alle sind fröhlich.

Beim abendlichen Briefing beschließen wir, Terschelling – gleich nebenan – als nächstes anzulaufen. Kurze Strecke, aber mit einem Hauch Wagemut gespickt …

Terschelling

Von Vlieland aus gibt es zwei Wege nach Terschelling. Der bisherige lange Weg über S und E und N durch die verschiedenen tiefen Priele. Und der superkurze, direkte Weg über eine zwischen den Inseln am Ostrand des Seegats gelegenen Sandbank. Im Winter hat ein Sturm hier eine Schneise gespült und zur Hochwasserzeit ist hier eine Passage mit bis zu 2 m Tiefgang möglich. Es kommt also darauf an, zur rechten Zeit in diese kleine Furt einzusegeln. Der Wind weht frisch mit SE 5, der Seegang steht mit ca. 3, also machen wir uns mit einem Reff im Groß auf den Weg. Vor der Durchfahrung der schmalen Passage müssen wir eine Zwangspause einlegen: es kommt uns eine Katamaranfähre entgegen – völlig unerwartet, hier – und ein Boot von uns liegt zu weit achteraus. Aber bald kann es gemeinsam weitergehen und alle sind froh, “Das Hohe“ ohne Grundberührung geschafft zu haben. So ist der Weg nach Terschelling rd. 10 sm kürzer. Bei mäßiger Sicht und Sprühregen erhebt sich der Brandaris erst spät und diffus über den Horizont, bevor Insel und Gebäudekonturen präziser auszumachen sind. Es ist der älteste Leuchtturm an der Nordseeküste und ist heute eine wichtige Station für die Überwachung der Schifffahrt inklusive Radarberatung, auch für die Sportschifffahrt. Nach kurzer Zeit und einigen Fahrwasserschlenkern erreichen wir die Ansteuerung der Hafeneinfahrt von Terschelling. Da passierts: beim Versuch, den Motor startklar zu machen, geht Lutz von der Unicorn außenbords. Lutz kann sich aber artistisch selbst wieder an Bord hieven. Beim Hilfeversuch kommt Ginger außerhalb des betonnten Fahrwassers auf Grund und setzt im Seegang einige Male hart auf. Glücklicherweise entsteht bei beiden Booten kein Schaden. Nur Lutz ist für eine frühzeitige Dusche fällig. Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Das Einlaufbierchen in Form von Campari Orange wird mit großer Erleichterung und Fröhlichkeit bei weniger freundlichem Himmel schließlich sehr genossen. Wir freuen uns, nun die dritte Insel erreicht zu haben. Und noch etwas ist zu feiern: Onno von der teamspirit hat Geburtstag. Das wird natürlich singend begangen, DER Sailor-Chor auf dem Steg.

Leider muss Stefan von der Ducky wegen beruflicher Verpflichtungen vorzeitig nach Hause. Wir verabschieden ihn am Nachmittag mit gemischten Gefühlen, denn der Wind hat überwiegend auf SE 6 zugelegt. Spätabends bekommen wir von ihm Meldung, dass er unversehrt in Makkum angekommen ist. Wir sind erleichtert.

Nun ist ein Inseltag angesagt. Wir sind am Ankunftstag nur begrenzt unternehmungslustig, denn schwere Regenböen gehen über die Insel. Das ist am nächsten Tag besser. Alle können ausschlafen. Mir gibt das Gelegenheit, die weiteren Gezeiten- und Kursberechnungen vorzunehmen. Unter Berücksichtigung des strammen Windes macht uns ein Boot mit nicht reffbarem Großsegel durchaus Sorgen. Doch die beiden da drauf sind sportlich eingestellt und bekommen das hin.

Kurs Süd ins Ijsselmeer

Am nächsten Tag treffen wir uns gegen 07.00 vor der Hafeneinfahrt, um zur rechten Zeit im tiefen Priel mit auflaufendem Wasser gen Süden segeln zu können. Da gibt es allerdings eine Kleinigkeit ... Auf dem Weg liegt eine Flachstelle im Fahrwasser, die wir in einem Zeitfenster von rd. 1 Std. passieren müssen; anders wäre schlecht! Es geht rechtzeitig los. Bei Sonnenaufgang zeigt sich ein wüster, zerrissener Himmel, dazu passt der ruppige Wind. Wir geben also Gas mit unseren auf Starkwind getrimmten Booten und steuern aus den kleinen Prielen in die größeren. Dabei erleben wir eine harmlose Kabbelsee. Bei der nächsten Kardinaltonne W muss erstmal eine Wartepause eingelegt werden. Wir liegen deshalb bei, um so auf eines unserer Boote zu warten, das stark achteraus gefallen ist (leider ohne Funk! Handyverbindung klappt nicht). Während des Beiliegens wird deutlich, mit welcher Macht uns der Strom versetzt, wenn unsere Segel nicht dagegen arbeiten dürfen. Aber wir wollen schließlich gemeinsam über die kritische Stelle unseres Kurses und so gelingt das auch. Unter keinem Kiel hat‘s geknirscht, wenn auch auf 2 Booten, die mit Echoloten ausgestattet sind, kurzzeitig Beklemmung aufkommt. Aber für die anderen ist das kein Thema. Die Berechnung muss halt stimmen! … und das ist der Fall. So einfach ist Tidennavigation! Wir haben mindestens ½ m Platz unterm Kiel, das reicht doch oder?

Im Verlauf des Vormittags wird das Wetter immer freundlicher, die Sonne macht den S-Kurs zum Blinzelkurs, zumindest zeitweilig. Bald erreichen wir die Seeschleuse Kornwerderzand. Viele Yachten laufen hier mit uns ein und so entwickelt sich bereits im Schleusenvorhafen ein Chaos von kreuz und quer fahrenden und treibenden Yachten, die darauf warten, in die Schleuse einfahren zu dürfen. Hinzu kommen zahlreiche Klipper und Tjalken, die ihre Chartergäste zurück ins Ijsselmeer transportieren. So mancher wird Sorge vor dem heranziehenden Tiefdruckgebiet haben.

Mit viel Gehampel und teilweise lauter Kritik gegenüber dilettantisch manövrierenden Yachten erleben wir das Schleusenmanöver und versammeln uns danach kurz im Binnen-Vorhafen. Makkum soll unsere heutige Station werden. Gemütlich geht’s nur unter Fock bei dunkelgrauem  Himmel auf die kurze Distanz, um schließlich hinter der schützenden Schiffbauhalle in Parademanier festzumachen. Im “Prinsen“ sind abends alle sichtlich zufrieden über die erreichten Ziele. Der aufziehenden Wetterverschlechterung wird nun gelassen entgegengesehen. Gut so …

Abstecher nach Enkhuizen

Am nächsten Morgen hat bei Musik im Rigg niemand Lust aufs Auslaufen. Erst mittags, als der Himmel ein wenig heller wird, machen wir uns startklar, um einen Südkurs durchs Ijsselmeer zu segeln; quasi ein Abstecher. Das regnerisch böige Wetter holt uns aber wieder ein und so wird das Einlaufbierchen im Compagnieshaven in wasserfester Segelmontur genossen. Der Stimmung tut das Wetter nun keinen Abbruch mehr und die Getränke müssen bei gesunkenen Temperaturen nicht mehr gekühlt werden.

Heimwärts geht’s

Der nächste Tag ist unser letzter Segeltag, da solls nochmal so richtig zünftig zurück nach Hindeloopen gehen … Zünftig! 3 Gewitter haben uns passiert, aber nur eines geht direkt über unsere kleine Flottille hinweg. Sturzregen macht Reinschiff, Verschlusszustand ist angesagt. Der Zauber ist alsbald vorbei, Ginger und teamspirit laufen nach Warns/Friesland ab, Unicorn und Semper Fidelis laufen Hindeloopen an, wo die Gespanne stehen. Grete hat schon tags zuvor die Tour beendet.

Alle sind augenscheinlich glücklich, zufrieden und unbeschadet heimgekehrt.
128,8 erlebnisreiche sm liegen im Kielwasser. Auf geht’s, nach Hause!

Schön, dass Ihr dabei wart! Bis zum nächsten Mal!

Anmerkung:
Und wieder bedanke ich mich bei allen Teilnehmern, für vorbildliches, seemännisches und hilfsbereites Verhalten.

Michael Röhrig
Semper Fidelis / GER 1176
Deutsche H-Boot-Klassenvereinigung
Beauftragter Fahrtensegeln

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