Silverrudder 2017
Um 7:30 liegt noch Nebel über dem Hafen vom Svendborg. Kein Lüftchen regt sich. Einzig das Wasser im Svendborgsund strömt kräftig nach Osten. Ein Blick in den Himmel verspricht einen schönen sonnigen, aber flauen Spätsommertag.
Heute wird zum sechsten Mal die Silverrudder Challenge gestartet, d.h. ein Boot, ein Skipper, 134nM nonstop rund Fü-nen. Ich bin mit meinem H-Boot Umoja zum dritten Mal dabei. In diesem Jahr geht es im Uhrzeigersinn um die Insel.
Seit Tagen prognostizieren die Wetterfrösche schwache Winde bis max. 5 m/Sek. aus Süd bis Nordost. Ich habe mich seelisch auf ein langes Rennen eingestellt. Als ich um 10:33 die Startlinie passiere, hat sich tatsächlich eine leichte östliche Brise eingestellt. Mit 1-3 SOG gehen wir auf die Reise. Es wird die Suche nach den Windfeldern und den Neerströmen.
Mit der Wahl meines Kurses habe ich Glück und kann mich bald von meine Konkurrenten absetzten.
Trotzdem bleibt Gelegenheit sich an dem Jagdverhalten der Schweinswale zu erfreuen, die zahlreich um mich herumschwimmen.
5 Stunden nach dem Start auf Höhe von Korshavn hat sich unser Start weit auseinandergezogen. Ich bin schon weit in das Feld der vor uns gestarteten Minis hineingefahren. Dicht gefolgt von H-Boot Kollege Björn.
Der südöstliche Wind hat mittlerweile auf West gedreht und wir müssen kreuzen. Der Luv Gewinn ist gering. Die nach uns gestarteten haben mehr Glück und sparen sich das mühsame Aufkreuzen. Unaufhaltsam jagt uns die Meute.
Die uns auf Höhe Lyö gegen 18:30 stellt und in Windeseile überholt.
Es dämmert schon und kurz darauf beginnt die erste Nacht. Ich wechsle die Garderobe auf Wintermodus, sind doch für die Nacht Tiefsttemperaturen von 5° C vorhergesagt. Um 20:30 habe ich Helnæs Leuchtturm querab und mit 3-4 Knoten geht es in der kleinen Belt.
Gegen 3:00 passiere ich die Insel Fænø und erlebe ein besonders beeindruckendes akustisches Naturerlebnis. Der Wind hat sich wieder gegen Null reduziert. Vortrieb liefert einzig der nordsetzende Strom. Das Wasser ist spiegelglatt. Es plät-schert kein Bugwelle. Auf den umgebenden Booten macht niemand einen Mucks. Totenstill wäre es, wenn nicht um uns herum das Klicken und Atmen der Schweinswale zu hören wäre. Es muss eine ganze Schule sein so vielfältig sind deren Laute. Unwillkürlich gleitet meine Hand Richtung Wasser, Streicheleinheit? Auf Fænø unterhalten sich Käuze, ein Rotte Wildschweine durchpflügt den Wald und noch andere Vögel stimmen in das Konzert der Tiere ein. Ich bin total fasziniert und erinnere mich an meinen Besuch im afrikanischen Busch. Ich kann nicht glauben, dass so etwas in unserer zersiedelten Welt zu erleben ist. Alleine für diesen Moment hat sich die Reise gelohnt.
Noch geflasht von diesen Eindrücken treibe ich weiter gen Middelfahrt, wo ich noch bei Stillwasser zwischen 6:00 und 7:00 beide Brücken passiere. Über Strip geht die Sonne bereits wieder auf. 11 Stunden Dunkelheit sind vorbei.
Es beginnt eine traumhafte Kreuz nach Æbelø. Auf der Kante sitzend, den Ausleger locker zwischen Daumen und Zeig-finger haltend, bleibe ich im tiefen Wasser und hoffe auf die Unterstützung des nordostsetzenden Stroms. Dieser Traum endet je mit einer Nebelbank, die sich vor die Insel schiebt. Zwar ist sie nicht völlig undurchsichtig, aber sie schluckt den Wind.
Über Stunden treibe ich antriebslos auf dem Meer. Die Nachtgarderobe ist der kurzen Hose gewichen, die Sonnencreme wird bemüht. Der Trick durch essenkochen den Wind herbeizuzaubern misslingt ebenso. Ich muss mich meinem Schicksal ergeben. Motorlos habe ich sowieso keine Wahl. Etwa 4 Stunden dauert es, bis sich wieder eine leichte Brise einstellt.
Hoch am Wind mit Aussetzern nähere ich mich Fyns Hoved, das ich gegen 18:30 erreiche. Damit beginnt die 2 Nacht. Der Spinnaker geht hoch und beschleunigt mich auf 5-6 Knoten, leider nur durchs Wasser, denn es setzten etwa 2 Knoten Strom gen Norden.
Auf Höhe von Kerteminde überlege ich kurz, ob ich hier abbrechen sollte. So hatten H-Boot Kollege Björn und ich es in der Flaute ins Auge gefasst. Dummerweise können wir uns nicht mehr abstimmen, da meine Handy-Akkus leer sind. Der Wind nimmt immer weiter zu und trotz Gegenstrom komm ich mal gut voran. Also verwerfe ich den Gedanken an einen Abbruch.
Der Wind steigert sich weiter und das Spigeschirr beginnt mächtig zu ächzen. Den richtigen Zeitpunkt den Spi wegzu-nehmen habe ich da längst verpasst. Gegen 23:30 befinde ich mich ein halbe Meile nördlich der Großen Belt Brücke. Ich habe einen Kurs auf den 7. westlichen Brückenbogen abgesteckt. Geblendet durch die Lichter von Nyborg offenbart sich keine Brücke. Ich fahre mit einem Affenzahn auf eine schwarze Wand zu. Panisch hole ich den Spinnaker ein und näher mich der Brücke nun langsam unter Großsegel. Immer noch ist nichts von den Brückenbögen zusehen. X-fach durchse-gelt weiß ich natürlich um deren Vorhandensein. Offensichtlich ist nach 37 schlaflosen Stunden die Urteilsfähigkeit doch eingeschränkt. Ich ändere den Kurs Richtung beleuchtete Durchfahrt und schließe mich anderen Seglern an, die auch diesen Weg gewählt haben. In der Durchfahrt gebärdet sich der Große Belt wie ein Wildwasser tierischer Strom, Strudel, Wellen. Wir kommen nur im Schritttempo dagegen voran. Aber alles klappt. Auf der Südseite der Brücke muss ich mich erst mal sammeln. Das Adrenalin hat fürs erste die Müdigkeit vertrieben. Ich schaffe es gerade noch die Fock zusetzen, für mehr fehlt mir die Kraft. Den anderen scheint es genauso zu gehen.
Als ich mich nochmal zur Brücke umdrehe, sehe ich allen Bögen artig da wo sie sein sollen.
Von nun an geht es eigentlich nur noch 17,5 Meilen mit 190° Richtung Svendborg Sund. Ich befinde mich auf meiner vorgegebenen Route, aber die Psyche spielt mir noch einen Streich. Phantasie und Wirklichkeit kann ich nicht mehr rich-tig auseinanderhalten. Ich sehe plötzlich Inseln wo keine sein dürften.
Der Strom reduziert meinen SOG auf unter 1 Knoten. Ich denke ich sitze auf Schiet und schlage eine Notharken nach Osten. Die Positionslaternen der Mitsegler verschmelzen zu ich weiß nicht was, jedenfalls kann ich rot und grün nicht mehr unterscheiden. Gott sei Dank fahren sie in die gleiche Richtung und so bleiben solche Fehleinschätzungen folgenlos.
Um 5:16 erreiche ich die Kardinaltonne Thurø Rev. Ich überleg kurz, ob ich bis zum Hellwerden warten sollte, verwerfe den Gedanken jedoch, weil dann Gegenstrom die Reise nochmal deutlich verlängern könnte. Mit elektronischer Navigationshilfe komme ich sicher in den engeren Sund. Dann wird es noch Mal schwierig, weil meine feuchten Finger keine Wirkung mehr auf das Tablett haben. Ich kann die Seekarte nicht auf den aktuellen Ausschnitt verschieben. Ich fahre nach Gefühl. Mache viele kurze Schläge in der Mitte des Sundes und komme so ohne Probleme nach Svendborg.
Es ist bereits wieder hell und ich kann die Ziellinie sehen, die ich nach 45 Std 4 Min. und 46 Sek. übersegele.
Kaum auf dem Weg in den Hafen setzt der Strom ein und schiebt mich seicht in den Hafen. Dieser ist erstaunlich leer. Genau wie mein Kopf.
Henning Ancker-Wiewgorra
Umoja wurde 95. über alles.
Umoja wurde 14. in der gesamten Klasse der kleinen Boote.
Umoja wurde 2. im 2. Start.
schnellste Zeit 29h 33m 53s
langsamste Zeit 49h 23m 53s